Durchreibungen

Historische Durchreibung der Universitätsbibliothek Erlangen für die Sammlung der Preußischen Staatsbibliothek um 1930

Historische Durchreibung der Universitätsbibliothek Erlangen für die Sammlung der Preußischen Staatsbibliothek um 1930

Einbanddurchreibungen sind nach wie vor ein zentrales Instrument der Einbandforschung. In einigen großen Institutionen existieren bedeutende Sammlungen, die sich zum Teil auf vielfältige nationale und auch internationale Bibliotheksbestände beziehen. Diese bis in die 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreichenden Überlieferungen bilden teilweise nicht mehr existierende Bestände ab und stellen somit inzwischen selbst historische Quellen dar. Die Staatsbibliothek besitzt außergewöhnlich umfangreiche Sammlungen von Einbanddurchreibungen; bedeutende Teilbestände sind bereits über die Einbanddatenbank nachgewiesen.

Entstehung einer Durchreibung

Die Anfertigung von Einbanddurchreibungen ist eine Technik, um historische Bucheinbände und ihre Zierelemente detailliert und maßstabsgetreu zu reproduzieren. Für die Einbandforschung sind Durchreibungen wichtig, weil sie Forschenden auf diesem Gebiet umfassende sammlungsübergreifende Vergleiche ermöglichen. Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Durchreibungen unterscheiden, nämlich großflächige Ganzdurchreibungen, die komplette Buchdeckel abbilden, und Motivdurchreibungen (von Stempeln, Rollen und Platten erzeugt), die nur einzelne Elemente des Einbandschmucks erfassen. Angefertigt werden derartige Durchreibungen, indem zunächst ein dünnes Papier über die Teile des Einbands, die vervielfältigt werden sollen, gelegt wird. Anschließend wird durch das Reiben mit einem weichen Bleistift auf dem Papier ein Abdruck erzeugt. Die Technik der Streiflichtaufnahme ermöglicht heutzutage eine gleichwertige berührungsfreie Alternative zum Durchreiben von Einbänden.

Sorgfältig angefertigte Durchreibungen (hier aus der Sammlung Schunke) reproduzieren das Original mit großer Detailgenauigkeit. Rechts eine Abbildung Melanchthons aus der Werkstatt Erhard Pilgrums, Nürnberg.

 

Zum Anschauen

Videoausschnitt aus: Ex Bibliotheca Regia Berolinensi : Galaxie des Wissens, Berlin 2003. © märzdesign, Berlin

Die Sammlung Schwenke

Neben den Originaleinbänden der Einbandsammlung stützt sich die Arbeit des Kompetenzzentrums Einbandforschung vor allem auf die umfangreichen Sammlungen von  Einbanddurchreibungen, über die die Staatsbibliothek verfügt. Besonders hervorzuheben ist die von Georg Paul Schwenke (1853-1921) aufgebaute Sammlung von Durchreibungen zu Einbänden der Spätgotik bzw. des Spätmittelalters. Schwenke, der ab 1906 erster Direktor der Königlichen Bibliothek zu Berlin war, schuf mit seiner Kollektion, die er bereits Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Zeit als Leiter der Universitätsbibliothek in Königsberg (1893-1899) anzulegen begann, die erste deutsche Sammlung von Einbanddurchreibungen. Schwenkes Sammlung umfasst rund 4.440 Durchreibungen von Bucheinbänden, die mit ungefähr 7.500 verschiedenen Werkzeugen hergestellt wurden und aus zahlreichen Werkstätten stammen. Die Sammlung ist durch Ilse Schunkes zweibändiges Werk Die Schwenke-Sammlung gotischer Stempel- und Einbanddurchreibugen (Berlin 1979-96) teilweise erschlossen und in der Einbanddatenbank (EBDB) vollständig erfasst und online nutzbar.

Die Sammlung Schunke

Die Kunsthistorikerin und Bibliothekarin Ilse Schunke gelangte als Mitarbeiterin Konrad Haeblers (1857-1946) zur Beschäftigung mit historischen Bucheinbänden und erarbeitete sich einen Ruf als eine der angesehensten deutschen Einbandforscherinnen. Schunkes Durchreibungssammlung konzentriert sich auf Bucheinbände der Renaissance und Frühen Neuzeit und legt hierbei wiederum einen Schwerpunkt auf deutsche Einbände jener Epoche (vor allem aus dem mittel- und ostdeutschen Raum), die mithilfe Rollen und Platten verziert wurden. Daneben enthält die Sammlung aber auch Beispiele der Einbandkunst aus anderen Regionen Europas. Schunke baute ihre Sammlung parallel zu ihrer Forschung an der Sammlung Schwenke auf. Sie trug ca. 13.400 Durchreibungen zusammen, die überwiegend regional geordnet sind. Die Sammlung ist vollständig in der Einbanddatenbank (EBDB) erfasst und online zugänglich.

Die Sammlung Krepl

Im Jahr 2000 wurden die Durchreibungssammlungen von Schunke und Schwenke durch eine großzügige Schenkung aus der Privatsammlung des Einbandforschers Walter Krepl (1942-2008) ergänzt. Krepl war ein anerkannter Experte für moderne Bucheinbände. Die Sammlung Krepl an der Staatsbibliothek beinhaltet neben Durchreibungen aus Beständen der berühmten Heidelberger Palatina auch Material zweier weiterer renommierter Einbandforscher, nämlich von Hellmuth Helwig (1911-1979) und Max Joseph Husung (1882-1944). Letzterer legte an der Preußischen Staatsbibliothek das Fundament der heutigen Einbandsammlung der Staatsbibliothek zu Berlin.

Die Sammlung Rabenau

Um  die vorhandenen Durchreibungssammlungen zu ergänzen hat die Staatsbibliothek vor einigen Jahren die äußerst umfangreiche private Durchreibungssammlung des Einbandforschers Konrad von Rabenau (1924-2016) erworben, die auch unter der Bezeichnung Einbandarchiv bekannt ist. Das Einbandarchiv ist von hohem wissenschaftlichen Wert. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass es herangezogen wurde, um einen größeren Bestand an Durchreibungen zu bestimmen, den Rabenau und Mitarbeitende der Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg anfertigten. Heute gehören diese Bestände zur Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek Wittenberg.